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BRUGMANN.
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ausmacht, aus seelischer Thätigkeit entspringt und auf einer langen Kette von vorausgegangenen Processen beruht, bei denen immer der menschliche Geist, mag er auch noch so sehr von äusseren Factoren bestimmt worden sein, selbst das eigentliche Agens gewesen ist, so ist die Sprache nichts anderes als eine menschliche Einrichtung (an institution). Und so ist die Sprachwissenschaft eine historische oder Geisteswissenschaft (a historical or moral science). Nur eine obertlächliche Betrachtung hat sie zu einer naturwissenschaftlichen Disciplin stempeln können.[1] In der Sprache spiegelt sich also nicht nur das geschichtliclie Leben der Völker, sondern sie ist auch ein Theil desselben, und wie es die Aufgabe der Sprachforscher ist, vermittelst aller ihnen zugänglichen geschichtlichen Zeugnisse den Entwicklungsgang der einzelnen Sprachen zu erforschen und darzustellen, so ist auch nur dann zu richtigen Anschauungen über das Sprachleben überhaupt zu gelangen, wenn man sich die Sprache immer als etwas in der Geschichte sich Entwickeludes und in fortwährendem Umbildungsprocess Befindliches vorstellt. Die einzelnen Veränderungen vollziehen sich nur langsam und ohne dass sie den Sprechenden selbst zum Bewusstsein kommen. Sie können nicht durchdringen, wenn sie von dem bestehenden Sprachgebrauch allzu stark abweichen; nur was sich dem Sprachgefühl Aller empfiehlt, kann obsiegen und zur Allgemeingiltigkeit durchdringen. Bei noch so grosser Verschiedenheit aber der äusseren Verhältnisse beruhen die Veränderungen der Sprachen allenthalben auf den gleichen Gesetzen und der gleichen Art ihrer Wirksamkeit.

Damit war im Wesentlichen das Fundament gelegt zu einer angemessenen Behandlung der sprachgeschichtlichen Principienlehre, und Whitney selbst hat manche dahin gehörige Einzelfrage, theils in den genannten grösseren Werken theils in besonderen kleineren Abhandlungen, in klarer und umsichtiger Weise erörtert. Er ist sich aber auch des hodegetischen und methodologischen Gewinnes bewusst gewesen, der aus diesen Untersuchungen für die Einzelforschung zu holen ist.

  1. Gegen diese Verkehrtheit hat Whitney noch einmal zwei Jahre vor seinem Tode auftreten müssen in der Schrift "Max Müller and the Science of Language" (New York, 1892), p. 23, sqq.