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aber hatte er auch ohne jenes Erlebnis, ohne Intuition, genau so gut gewinnen können, denn wir hatten ja eingesehen, daß die formalen Beziehungen des Transzendenten durch die gewöhnliche diskursive Erkenntnis der empirischen Wissenschaften bereits restlos erreichbar sind. Durch die Methoden der Einzelwissenschaften wird prinzipiell alle Erkenntnis vom Seienden gewonnen; jede andere „Ontologie“ ist leeres Geschwätz. Der Philosoph mag noch so viele Worte für das Erlebnis suchen: er kann mit ihnen nur die formalen Eigenschaften desselben treffen, der Inhalt entschlüpft ihm stets. Selbst wenn es also eine „intuitive Erkenntnis“ in seinem Sinne gäbe, bliebe dem Metaphysiker nichts als — Schweigen.

Wir können leicht verstehen, warum wir uns nicht des Gefühles erwehren können, es sei doch nicht schlechthin sinnlos, eine solche Aussage zu machen wie etwa die des Voluntarismus „alles Wirkliche ist Wille“. Sie ist sinnlos als metaphysische Aussage, das heißt, wenn wir mit dem Worte Wille das unmittelbare Erlebnis des Wollens selbst seinem Inhalt nach bezeichnen. Aber dies ist nicht seine einzige Bedeutung, es können auch die formalen Eigenschaften des Willensvorganges damit gemeint sein, und dann bekommt jener Satz sofort einen empirischen Sinn; durch diskursive Erkenntnis kann prinzipiell seine Richtigkeit bestätigt oder widerlegt werden. Hätte man nämlich festgestellt, daß die in jedem Willenserlebnis auftretenden Sukzessionen und Koexistenzen seiner psychologischen Komponenten einer bestimmten Strukturformel gehorchen, so würde der Inhalt des wissenschaftlichen Begriffes „Wille“ nunmehr eben diese bestimmte formale Struktur sein, und die voluntaristische Behauptung „alles ist Wille“ würde besagen: alles Geschehen in der Welt ist von der Art, daß es durch eben jene Strukturformel beschrieben werden kann (ein physikalisches Analogon: die Behauptung „alle Materie ist elektrischer Natur“ bedeutete „alles materielle Geschehen läßt sich durch die Grundgleichungen der Elektrizitätslehre beschreiben“). Man sieht, dies ist jetzt keine metaphysische Behauptung mehr, sondern ein Satz der Wissenschaft, der auf empirischem Wege geprüft werden konnte. In ähnlicher Weise kann man andere metaphysische Sätze in empirisch-wissenschaftliche umwandeln, indem man ihren Worten die entsprechenden formalen Bedeutungen gibt — wobei sich dann allerdings fast in allen Fällen herausstellt, daß man keinen Grund dafür findet, diese Sätze zu be-