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LOGISCH-PHILOSOPHISCHE ABHANDLUNG

unwahrscheinlich. Ein Ereignis trifft ein, oder es trifft nicht ein, ein Mittelding gibt es nicht.

5.154 In einer Urne seien gleichviel weisse und schwarze Kugeln (und keine anderen). Ich ziehe eine Kugel nach der anderen und lege sie wieder in die Urne zuriick. Dann kann ich durch den Versuch feststellen, dass sich die Zahlen der gezogenen schwarzen und weissen Kugeln bei fortgesetztem Ziehen einander nahern.

Das ist also kein mathematisches Faktum.

Wenn ich nun sage : Es ist gleich wahr- scheinlich, dass ich eine weisse Kugel wie eine schwarze ziehen werde, so heisst das : Alle mir bekannten Umstande (die hypothetisch angenom- menen Naturgesetze mitinbegriffen) geben dem Eintreffen des einen Ereignisses nicht mehr Wahrscheinlichkeit als dem Eintreffen des anderen. Das heisst, sie geben — wie aus den obigen Er- klarungen leicht zu entnehmen ist — jedem die Wahrscheinlichkeit ^.

Was ich durch den Versuch bestatige ist, dass das Eintreffen der beiden Ereignisse von den Um- standen, die ich nicht naher kenne, unabhangig ist.

5.155 Die Einheit des Wahrscheinlichkeitssatzes ist: Die Umstande — die ich sonst nicht weiter kenne — geben dem Eintreffen eines bestimmten Ereignisses den und den Grad der Wahrscheinlichkeit.

5.156 So ist die Wahrscheinlichkeit eine Verallge- meinerung.

Sie involviert eine allgemeine Beschreibung einer Satzform.

Nur in Ermanglung der Gewissheit gebrauchen wir die Wahrscheinlichkeit. — Wenn wir zwar eine Tatsache nicht vollkommen kennen, wohl aber etwas iiber ihre Form wissen.

(Ein Satz kann zwar ein unvollstandiges Bild einer gewissen Sachlage sein, aber er ist immer ei n vollstandiges Bild.)

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