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LOGISCH-PHILOSOPHISCHE ABHANDLUNG

ohne eine Ahnung da von zu haben, wie und was jedes Wort bedeutet. — Wie man auch spricht, ohne zu wissen, wie die einzelnen Laute hervorgebracht werden.

Die Umgangssprache ist ein Teil des menschli- chen Organismus und nicht weniger kompliziert als dieser.

Es ist menschenunmoglich, die Sprachlogik aus ihr unmittelbar zu entnehmen.

Die Sprache verkleidet den Gedanken. Und zwar so, dass man nach der ausseren Form des Kleides, nicht auf die Form des bekleideten Gedan- kens schliessen kann ; weil die aussere Form des Kleides nach ganzanderen Zwecken gebildet ist, als danach, die Form des Korpers erkennen zu lassen.

Die stillschweigenden Abmachungen zum Ver- standnis der Umgangssprache sind enorm komp- liziert. 4.003 Die meisten Satze und Fragen, welche iiber

philosophische Dinge geschrieben worden sind, sind nicht falsch, sondern unsinnig. Wir konnen daher Fragen dieser Art iiberhaupt nicht beantworten, sondern nur ihre Unsinnigkeit feststellen. Die meisten Fragen und Satze der Philosophen beruhen darauf, das wir unsere Sprachlogik nicht verstehen.

(Sie sind von der Art der Frage, ob das Gute mehr oder weniger identisch sei als das Schone.)

Und es ist nicht verwunderlich, dass die tiefsten Probleme eigentlich kei n e Probleme sind. 4.0031 Alle Philosophic ist „Sprachkritik". (AUerdings nicht im Sinne Mauthners.) Russell's Verdienst ist es, gezeigt zu haben, dass die scheinbare logische Form des Satzes nicht seine wirkliche sein muss. 4.01 Der Satz ist ein Bild der Wirklichkeit.

Der Satz ist ein Modell der Wirklichkeit, so wie wir sie uns denken. 4. oil Auf den ersten Blick scheint der Satz — wie er

etwa auf dem Papier gedruckt steht — kein Bild der

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